Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Mai 2012

1. Mai 2012
Der Mai ist gekommen...


Eigentlich ist pilgertechnisch nichts geschehen, aber ich hinterlasse hier dennoch kurz einen Eintrag.
Die nächsten beiden Tage habe ich frei und ich werde mich morgen auf meine nächste Wandertour begeben, ich hoffe, das Wetter spielt mit.


Momentan wohne ich scheinbar in der Einflugsschneise der Maikäfer, ständig brummt es vor meinem Wohnzimmerfenster, dann macht es kurz klack und dann schwirren die Jungs durch meine Wohnung. Obwohl ich kein Freund von Krabbeltieren bin, macht es Spaß die Brummer zu beobachten und dann wieder aus der Wohnung zu befördern.


3. Mai 2012
Irgendwie bin ich gestern doch nicht zum Laufen gekommen, aber ich habe meine Rucksackpackliste vervollständigt und eigentlich dürfte mein Rucksack nun so gut wie vollständig für meine bevorstehende Reise sein. Den Notizblock (als leichtgewichtige Tagebuchvariante) habe ich mit Flugdaten, den vorgebuchten Unterkunftsdaten und der obligatorischen Adressenliste versehen.
Bei meiner Pflegedienstleitung werde ich nächste Woche noch einen Antrag auf Sonderurlaub aus religiösen Zwecken für die Reise stellen und ich bin mal gespannt, ob er mir dieses Jahr genehmigt wird. Letztes Jahr wurde er mir, von der bis dato für mich zuständigen PDL, nicht genehmigt, aber meine jetztige PDL saß im Rahmen der Krankenhaus-Zertifizierung in einer Arbeitsgruppe und berichtete davon, dass Sonderurlaub für Pilgerzwecke üblich sei. Ich bin mal gespannt, ob sie sich an diese Aussage noch erinnert, ansonsten kann ich auf den Fragenkatalog der Zertifizierung verweisen (von mir gab es damals Punktabzug, da diese Regelung wohl von Fach- zu Fachabteilung unterschiedlich gehandhabt wurde).
Gestern bekam ich eine Mail von meiner ehemaligen Mitpilgerin Inge-Johanna aus den Niederlanden. Es freut mich immer wieder von früheren Mitpilgern zu hören und zu lesen.
Inge ist auf der Suche nach einem Literatur-Agenten zur Übersetzung und Veröffentlichung ihres geschriebenen Buches: Rezepte zum Glücklichsein für jeden Tag. Ich freue mich, dass es ihr gut geht und sie ihren Weg gefunden hat und geht!


10.  Mai 2012
Wirklich viel ist seit meinem letzten Eintrag, pilgertechnisch, nicht geschehen und dennoch ist ganz viel geschehen. Vieles was ich noch nicht richtig verarbeiten kann, was mich traurig macht und viele Fragen aufwirft.
Vor einem halben Jahr hatte ich im Rahmen der Depressionsdiagonstik und wegen meiner Sehstörungen eine MRT-Untersuchung meines Schädels. Im MRT zeigten sich rechtshemisphärisch drei kleine Läsionen/Gliosen unklaren Ursprungs. Da ich in meiner Kindheit an einer Meningitis erkrankt bin, wurde vermutet, dass die Gliosen wahrscheinlich daher bedingt seien. Da aber auch entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems solche Veränderungen machen, wurde zu einer Kontrolluntersuchung in einem halben Jahr geraten. Eine Untersuchung, wie man mir sagte, routinemäßig um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung ist, so wie man es jetzt vermute.
Nun ist das halbe Jahr rum und ich war zur Verlaufskontrolle. Beim Radiologen in der Praxis kam ich mir bei der Besprechung der Bilder wie ein Hypochonder vor. Die Radiologin sagte mir, es sei alles nur Kleinkram, alles unverändert, alles gut. Gut gelaunt bin ich nach Hause gegangen und habe keinen weiteren Gedanken an die Untersuchung verschwendet.
Montag, während ich beim Dienst war, rief meine Psychoärztin bei mir an und sprach auf den Anrufbeantworter. Als ich mich bei ihr zurückmeldete, erklärte sie mir, dass sie den Bericht vom MRT vorliegen habe und wir dringend sprechen müssten. Nichts ist gut, wie die Radiologin mir versicherte. Die Läsionen in der rechten Hirnhälfte sind unverändert, allerdings sind in der linken Hirnhälfte drei neue auffällige Stellen vorhanden. Meine Psycho-Ärztin hat schon in ihrer Praxiszeit versucht, weitere Termine für mich zu vereinbaren, denn das MRT-Ergebnis ist dringend klärungsbedürftig. Vieles spricht für eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, wobei hierbei die Multiple Sklerose wohl die bekannteste Erkrankung ist.
Dienstag habe ich versucht bei den mir empfohlenen Neurologen anzurufen, aber es war schwer einen schnellen Termin zu bekommen. Dienstag habe ich nun einen Termin beim Neurologen, dem ich die Befunde mitbringen werde, und dann muss ich weitersehen. Eine Lumbalpunktion muss auf jeden Fall sein, alles andere wird sich zeigen und ergeben.
Warum kann bei mir nicht einmal alles so laufen, wie bei vielen anderen?
Jetzt habe ich die Depression überwunden, mir geht es arbeitstechnisch gut, ich fühle mich wohl und nun so etwas. Wie soll ich dieses meinen Eltern erklären, die sich sowieso schon immer so viele Sorgen um mich machen. Ich, das Sorgenkind – immer hat sie was.
Wie wirkt sich eine Diagnose aus, was kommt auf mich zu, kann ich mich wie geplant auf den Weg machen, schadet eine so ausgeprägte körperliche Belastung dem Immunsystem?
Mir gehen momentan so viele Fragen durch den Kopf. Ich kenne mich medizinisch so gut aus, ich weiß viel zu viel, ich kenne zu viele Betroffene und ihre Verläufe.
Jetzt heißt es: Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch. Ich muss es nehmen wie es kommt.
11. Mai 2012
Um mich gut auf den Weg vorzubereiten, und weil es noch einige Baustellen zu beseitigen gibt, habe ich mal wieder meinen Orthopäden kontaktiert und ihm meine Probleme geschildert. Nun ist die Entzündung am Knie wieder richtig gut, aber der Ansatz der Muskeln am Sitzbein ist entzündet, die Achillessehne auch. Für das Sitzbeinproblem gab es eine Cortisonspritze, in 14 Tagen folgt die nächste und für das Achillesproblem gab es eine Bandage, Lymphdrainage wegen Schwellung mit Ödem und KG. Gleich kann ich meine neuen orthopädischen Einlagen abholen, habe sie nach einer Empfehlung in einem Gescäft von einem Marathonläufer und Laufdiagnostiker herstellen lassen und bin mal gespannt, ob sie sich von meinen sonstigen Einlagen unterscheiden. Ich hoffe, dass ich dann in 5 Wochen so getunt bin, dass alles klappt, wie ich es gerne hätte.
Bei diesem schwül-warmen Wetter macht es keinen Spaß zu laufen, gestern war es einfach nur drückend und dem Gewitter mit seinem Lichtspiel habe ich begeistert zugesehen, leider schaffe ich es nicht, Blitze mit der Kamera einzufangen.


14. Mai 2012
Nun ist mein langes freies Wochenene fast schon wieder vorbei. Ich habe die Zeit gut genutzt, auch wenn ich meine gestrige Wanderung ohne meine noch recht neuen Wanderschuhe und ohne die neuen, orthopädischen Einlagen antreten musste. Mein rechter Wanderschuh mitsamt der neuen Einlage ist noch beim Schuhtechniker, da ich vor Reiseantritt noch meine Schuhsohlenerhöhung, oder auch Beinlängenausgleich genannt, benötige.
Mit Achillesbandage und Fersenkissen habe ich mich gestern mal wieder auf eine ausgiebige Wanderung gemacht. Das Wetter war durchwachsen, ich wusste nicht immer was mich erwartet, aber bis auf einen heftigen Schauer, hat sich das Wetter gut gehalten.
Bei leicht tröpfelndem Regen habe ich mich mal wieder am Waldrand aussetzen lassen und bin losgelaufen. Absichtlich habe ich eine Route mit vielen auf und ab´s gewählt.
Es ist schon wahnsinnig, wie rasant die Natur sich zur Zeit entwickelt. Alle 2 Wochen, immer an meinem freien Wochenende, habe ich mich auf eine Tour durch den Wald begeben und jedes Mal sieht es anders aus. Es ist eine richtig grüne Hölle, es sprießt an allen Ecken und Enden, der Vogelgesang ist wunderschön.
Direkt nach dem Wegbeginn, stieß ich über einen großen gelben Pfeil auf der Straße. Dieser Pfeil war vorher noch nie da, und ich fühlte mich wie auf dem Camino als ich auf den ersten Metern immer wieder auf diese Wegweiser traf. Die Wegweiser sind natürlich keine Camino-Wegweiser, sondern wurden extra für den Riesenbecker "Six-Days-Marathon" aufgemalt, aber es war so ein Gefühl, als ob...
In stetigem auf und ab lief ich vier Stunden lang durch den Wald. Zwischendurch - oder überwiegend - schien die Sonne wunderschön, ich konnte 40 Kilometer und weiter über die Münsterländer Parklandschaft blicken. Am Horizont konnte ich die Bettentürme in Münster und den Fernsehturm in den Baumbergen sehen. So klar und weit ist die Sicht längst nicht immer. Nach 10 Kilometern bewölkte es sich und ich überlegte im guten, teuren Hotel am Wegesrand einen Kaffee zu trinken, entschied mich aber dagegen. Wäre ich mal auf einen Kaffee geblieben, denn kurze Zeit später öffnete der Himmel seine Schleusen und es gab einen heftigen, 10minütigen Schauer. Ich schaffte es mit einem kurzen Spurt noch in einen Hauseingang und konnte mich so vor dem Regen retten. Im Hauseingang stehend kam ich mit dem Besitzer des Hauses noch in ein nettes, kurzweiliges Gespräch und dann ging es weiter.


Etliche Kilometer später kam ich an der schon ausgetesten Almhütte an, in der vor 14 Tagen meine Nichte und mein Neffe mit einem Eis für ihre Wanderleistung belohnt wurden. Auf meine Bitte um einen Kaffee wurde ich erstaunt angeschaut. Bei dem etwas durchwachsenen, aber überwiegend trockenem Wetter war heute bislang noch fast niemand in der Waldhütte erschienen und der Kaffeeautomat ist gar nicht angestellt worden. Aber der Besitzer hat sich zufällig selbst einen Kaffee in der Kaffeemaschine gekocht. Für einen Preis, fast wie in Spanien, bekam ich einen großen Becher Kaffee und konnte mir die Milch selbst auffüllen.
Bei der kurzen Pause merkte ich doch, wie kühl es draußen war - die Eisheiligen haben nicht umsonst ihren Namen. Beim Stillstand wurde es schnell kalt und so ging es munter weiter. Den Berg durch die Felsen bergab und dann begann der Endspurt. Oft ist an dieser Stelle für mich beim Wandern Schluss und ich lasse mich von meiner Familie einsammeln, da das Laufen auf der Hauptstraße nicht so attraktiv ist. Da meine Familie aber unterwegs war, und ich auch nicht für drei Haltestellen in den Bus steigen wollte, habe ich mich wieder in den Wald, bergauf, geschlagen um dann den letzten Abstieg einzuläuten. Danach ging es auf der Landstaße, die letzten 1-2 Kilometer nach Hause. Daheim wurde ich schon von unserer Familienkatze begrüßt, die dringend auf ihre Abendmahlzeit wartete.


Es war eine schöne Wanderung, die Achillessehen und die Fersen haben beim Laufen gut mitgemacht, alles in allem dürften es ca. 20 Kilometer gewesen sein.
Das einzige Problem war das Laufen nach der Ankunft. Nach dem Ausziehen der Schuhe konnte ich kaum auf die linke Ferse auftreten, auch heute schmerzt es noch relativ gut - aber wenn ich erste einmal wieder laufe, dann laufe ich und es geht.

Dia-Show von der gestrigen Etappe:


24. Mai 2012
Seit vorhin bin ich aus dem Krankenhaus zurück. Irgendwie wird es zur Gewohnheit, dass in den letzten vier Wochen vor dem Camino immer etwas passiert. 2009 habe ich einen Camino abgesagt, da kurz vorher eine Knie-OP gemacht werden musste, 2010 brach der isländische Vulkan aus, der den Flugverkehr lahmlegte, beim verspäteten Start ging mein Rucksack verloren, 2011 erfuhr ich drei Wochen vor dem Start, dass eine OP unumgänglich ist - schnell operiert und dennoch gestartet. Und nun komme ich, dreieinhalb Wochen vorher aus der Klinik zurück und habe erfahren, dass ich, wie vermutet, wirklich an Multipler Sklerose erkrankt bin. Kann nicht mal irgendetwas in meinem Leben so laufen, wie bei einem großen Teil der Bevölkerung. Wie geht es nun weiter, wie wird sich die Erkrankung auf mein Leben auswirken? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass niemals eine Krankheit mein Leben bestimmen wird.
Wie schon so oft in meinem Leben heißt es auch nun wieder: Augen zu und durch und alles annehmen wie es kommt - aber immer das Beste daraus machen. Immer vorwärts und weiter - Ultreya!

29. Mai 2012
Nun ist das Pfingstfest schon vorbei und was sehe ich gerade, mein Blog ist zum 25000. Mal angeklickt worden. Das ist nichts im Vergleich zu anderen Blogs, aber dennoch freue ich mich darüber.
Ich habe mich über die vielen lieben Grüße von meinen Lesern und Pilgerfreunden gefreut, die von meiner Erkrankung gelesen haben und mir persönlich geschrieben haben. Danke! Es ist schön zu wissen, dass auch in der Ferne an mich gedacht wird.
Eine Pilgerfreundin schrieb mir, dass der diesjährige Pilgerweg wohl der wichtigste Pilgerweg meines Lebens sein wird. Ich habe viel über diese Äußerung nachgedacht, und es ist richtig. Den Camino Francés wollte ich unbedingt laufen, irgendwann war der Gedanke da. Die Via Plata hat mich gerufen und auch der Gedanke an diesen Weg kam spontan und über Nacht.
Der Gedanke an den Camino del Norte ist nicht so ganz spontan und von alleine gekommen. Nach der Via Plata habe ich überlegt ein Jahr eine Pilgerpause zu machen um dann im Jahr 2013 meinen 40. Geburtstag auf dem Camino Primitivo zu feiern. Aus diesem Gedanken entstand der Plan den Camino del Norte als Zubringer zum Camino Primitivo zu laufen.
Ich werde viele Gedanken und Gebete mit auf den Weg nehmen und seit der MS-Diagnose letzte Woche weiß ich nun auch den Sinn, des Camino del Norte.


Es wird ein anstrengender Weg werden, wirklich zutrauen tue ich mir den Weg nicht. Noch nie hatte ich ein so schlechtes Gefühl vor dem Start, aber ich möchte es probieren.
Sonntag war mal wieder so ein Tag wo ich mich gefragt habe, wie das mit dem Camino klappen soll. Ich wollte eine schöne Runde durch den Wald laufen, aber ich habe es nicht einmal geschafft, mit dem Fahrrad den Wald zu erreichen. Die Beine taten so weh, das Gehen fühlte sich so anstrengend an... Diese Problem habe ich nun zum dritten Mal gehabt, nur weiß ich jetzt, warum diese Zustände entstehen - wirklich frustrierend. Aber dann gibt es ja auch die Zeiten, wo ich meine Strecken problemfrei laufen kann. Sie fühlen sich manchmal wesentlich anstrengeder an als früher, aber das habe ich bis lang darauf geschoben, dass wir alle nicht jünger werden.
Ich hoffe und bete, dass es auf dem Weg klappt, oder die guten Tage überwiegen.