18. September 2024
Ustariz – Bayonne 14,7km
Nach
einer nicht wirklich guten Nacht stehe ich morgens gerädert auf.
Einen Grund warum ich nicht schlafen konnte kann ich nicht
angeben.
Das
Ambiente war ungemütlich, aber nicht schlecht, die Matratze sehr
weich. Das Einmalbettlaken wirkte kratziger als die vorherigen
Exemplare, mir war viel zu warm....
Die
Nacht ist viel zu früh vorbei, oder habe ich überhaupt geschlafen?
Ich überlege schon bei Dunkelheit und ohne Frühstück mit dem Padre
aufzubrechen, aber mir erscheint das unhöflich. Und so warte ich,
bis der Durchgang zur Küche um 7.00 Uhr geöffnet wird.
Der
Padre spricht nur sehr schlecht englisch,
ich kein französisch. Bei einem kleinen Frühstück unterhalten wir
uns so
gut es geht und
dann breche ich auf.
Es ist noch dunkel/dämmernd, aber zu Beginn
geht es noch durch die Ausläufer von Ustariz bevor es an die Nive
geht.
Heute
gibt es zum Abschluss einen wunderschönen Sonnenaufgang. Der Himmel
leuchtet rot und gülden, ich starte in einen schönen letzten
Tag.
Das Wetter hat, abgesehen von einem richtig verregneten Tag, gut mitgemacht. Die Temperaturen immer sehr angenehm und genau passend zum Wandern.
Am Stadtrand von Ustariz geht es an die Nive. Oftmals liegt der Fluss hinter Bäumen und Büschen, aber an den Stellen wo ich den Fluss sehen kann, ist er wunderschön zu betrachten. Ruhig fließt der Fluss neben mir her.
Ich hatte auf einen Naturweg, Waldweg am Fluss entlang gehofft, aber es geht kontinuierlich und ohne Steigung auf einem Betonweg Richtung Bayonne.
Der
Weg ist nur für Fußgänger und Radler freigegeben. Es scheint eine
Art "Naherholungsgebiet" in Stadtnähe zu sein. Obwohl es
noch relativ früh ist, treffe ich auf Spaziergänger, Frühsportler
und Radler.
Ein
Kormoran fliegt über den Fluss. Zeitweise drehe ich mich um und
schaue auf den von mir zurückgelegten Weg und die Umgebung
zurück
Die letzten Hügel in der Ferne werden immer kleiner. Es ist wie ein leichtes Auslaufen und es ist ähnlich dem, wie der Camino Baztan in Trinidad del Arre begonnen hat. Es geht gemütlich am Fluss entlang, ohne große Besonderheiten - nur dass ich heute auf diesem Weg ankommen werde und nicht auf einen mir unbekannten Weg starte.
Das Laufen und Navigieren mit GPS hat wunderbar geklappt, bisher hatte ich keine Erfahrung damit, aber ohne wäre es absolut nicht gegangen, ich hätte den Weg niemals gefunden.
Ich freue mich auf mein Ankommen, mein Körper fühlt sich erschöpft an und gleichzeitig könnte ich ewig so weiter laufen.
Das Leben auf dem Camino ist so einfach, unbeschwert und gleichmäßig. Auch wenn man jede Nacht in einem anderen Bett schläft ist der Weg von einer Regelmäßigkeit strukturiert. Aufstehen, loslaufen, Frühstücken, laufen, Pause, laufen um das Tagesziel zu erreichen. Dann kommt die Phase vom Duschen, Ausruhen und Wäschewaschen, bevor man sich Gedanken macht, was, wie und wo man essen oder einkaufen kann.
Eventuell hat man auf den ruhigen Nebenwegen die Möglichkeit sich in der Herberge mit anderen Pilgern auszutauschen und dann geht man schlafen um den nächsten Tag genau so zu gestalten. Es spielt keine Rolle, was man trägt, ob die Kleidung verschlammt ist, genau so wenig zählt, wie die Haare gestylt sind. Jeder wird genommen wie er /sie ist, alle sind in der gleichen Situation mit den gleichen "Alltagssorgen" wie Wetter, Füße, Mahlzeiten... Der Alltag hier auf dem Weg unterscheidet sich so sehr vom Alltag im normalen Leben. Hier harmonieren die verschiedenen Nationen und Religionen - und in der Ukraine, im nahen Osten und überall auf diesem schönen Planeten kämpfen die Menschen miteinander.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Ich laufe rechts auf dem Weg und plötzlich überholt mich ein schnelles motorisiertes Fahrrad mit Nummernschild rechts über den Grünstreifen. Der Radler touchiert mich, ich spüre das Rad an meinem Rucksack und Stock und schwanke.
Mich durchfährt ein heftiger Adrenalinstoß und ich zittere am ganzen Körper. So kurz vor meinem Ziel noch fast ein Unfall.
Das Fahrrad war viel zu schnell für diesen Weg. Räder mit Nummernschild und Motor haben in Deutschland, und wahrscheinlich in Frankreich, eine Zulassungspflicht, können 50km/h fahren. Wahrscheinlich hat der Radler mich von rechts und durch die Wiese überholt, weil hinter der Kurve mehrere Radler aufgetaucht sind. Kein Klingeln, kein nichts - er erkundigt sich auch nicht, ob es mir gut geht.
Ich konzentriere mich noch stärker auf die Nebengeräusche, aber ich komme zum Glück heile in Bayonne an. Auf den letzten Kilometern spürt man die Stadt, es geht unter großen Brücken hindurch und dann steht dort an der Nive das Stadtschild von Bayonne.
Ich habe es geschafft, mir fehlen noch ca. 2km bis in die Innenstadt. Mich durchfährt ein großes Glücksgefühl und ich bin tief gerührt.
Die Herberge von Bayonne ist ausgebucht, aber wie der Zufall so will, treffe ich kurz vor der Innenstadt auf zwei optisch als Wanderer/Pilger erkennbare Personen. Wir kommen in´s Gespräch und sie fragen mich, ob ich ein Bett für heute habe oder ob ich Hilfe bräuchte. Es sind die Hospitalieros der Pilgerherberge von Bayonne. Etwas verwundert, dass ich aus der Gegenrichtung komme unterhalten wir uns kurz und ich laufe weiter.
Und dann sehe ich das erste Mal wie Türme der Kathedrale und mir kommen die Tränen.
Es ist ähnlich wie in Santiago, nur bin ich alleine. Ich komme in einer Stadt an, wo die meisten Pilger ihren Weg beginnen. Die Kathedrale ist zum Teil eingerüstet, was auch in Santiago nicht selten der Fall ist. Durch die Innenstadt komme ich zu der Kathedrale. Es ist ganz anders und trotzdem sehr ähnlich.
Als erstes gehe ich in die Kathedrale und lasse mir bei den Pilgerfreunden, die in dem Kirchenraum eine Stempel/Beratungsstelle haben, meine Credencial stempeln. Wieder ist die Verständigung das Problem, sie wollen mir eine Credencial geben und sind verwundert, dass meine Credencial doch schon etliche Stempel hat. Sie beglückwünschen mich und wünschen mir alles Gute. Die angebotene Credencial nehme ich dennoch gerne an, jetzt habe ich schon eine Credencial für den nächsten Weg - welcher auch immer es sein wird. Ich weiß, dass dieser Weg nicht mein letzter war.
Meine Unterkunft habe ich über die gängigen Pilgerseiten im Netz gefunden und liegt in direkter Nähe zur Kathedrale. Ein Privatquartier bei einer Frau die sich um Pilger kümmert.
Per SMS schreibt sie mir mehrfach, dass es später wird bis sie nach Hause kommt. Ich streife derweil durch die Stadt, sehe immer wieder Pilger die von hier aus starten. Gegen 14.30 Uhr schreibt mir die Quartiergeberin, dass sie nun da ist und ich kommen kann.
Ich sehe Licht in der Wohnung, klingele mehrfach, höre Geräusche aus der Wohnung, melde mich per SMS - aber niemand öffnet.
Auch 30min später öffnet mir niemand und ich bin ratlos.
Da ich gestern auch Kontakt zu einem anderen Privatquartier mit Pilgerherberge hatte, dieses Bett aber nach der schnelleren Rückmeldung in Kathedralennähe nicht angenommen habe, melde ich mich dort noch einmal.
Das Bett ist noch frei, und so laufe ich zu der etwas außerhalb gelegenen Adresse und werde herzlich empfange.
Im eigenen Haus hat die Familie ein Pilgerzimmer mit drei Etagenbetten, vier sind mit mir belegt. Auch hier bekomme ich noch einen Stempel in die Credencial. Meine Hospitaliera ist sehr engagiert. Ich und die anderen sitzen in der Küche zwischen Haushalt und Nähmaschine und werden mit Wasser und Kleinkram versorgt.
Die Rucksäcke müssen direkt neben der Tür stehen gelassen werden, jeder bekommt einen Korb um die benötigten Gegenstände mit in´s Zimmer zu nehmen. Ich habe die Auswahl zwischen orthopädischem Nackenkissen, halben Kissen, großen Kissen, gefüllten und weniger gefüllten Kissen. Die Betten bezieht die Hospitaliera persönlich mit Bettwäsche.
Anschließend gehe ich noch einmal in die Stadt und schaue mir die Gebäude und die Kathedrale in aller Ruhe an. Und natürlich, so wie immer, besorge ich mir auch heute, am Vorletzten Tag, noch etwas Proviant. Das Abendessen esse ich später in der Herberge, Frühstück gibt es in der Herberge und der kleine Rest ist für den Tag in Bilbao - aber dort kann man an jeder Ecke speisen.
Abends
klopft unsere nette Hausdame an die Tür und holt uns für ein
Gesellschaftsspiel. Da es sprachlich international zugeht, ist das
Handy als Übersetzer immer präsent und wir lachen und erzählen
noch bei zwei Runden Rommycup. Spontan kommen noch zwei Niederländerinnen hinzu, die morgen ihren Camino auf dem del Norte beginnen. Sie sind aufgeregt und gespannt, freudig erregt und freuen sich in mir eine routinierte Pilgerin anzutreffen.
Morgen
früh geht es für mich mit dem Bus nach Bilbao.
Ich
werde Mittags in Bilbao sein, dort in der Jugendherberge einchecken
und den restlichen Tag in der Stadt verbringen. Das Guggenheimmuseum
ist immer ein Highlight, auch wenn ich moderne Kunst nicht immer
verstehe. Alleine das Gebäude ist toll. Dann werde ich mich noch
kurz mit Angela und Gionato treffen und Samstag geht es nach
Hause.
Es
waren 2 wunderbare Wochen auf dem Camino. Ein Camino auf dem nur der
erste halbe Tag wie geplant lief. Alles andere war improvisiert und
aus der Not heraus geboren, aber der Weg fühlt sich richtig und
vollständig an, es war eine tolle Zeit mit so vielen Eindrücken und so schöner Natur und kurzweiligen Begegnungen.
Vier verschiedene, aneinander gehangene Weg, nicht von Ost nach West sondern im Zickzack von Süd nach Nord. Das Baskenland ist wunderschön und man trifft immer wieder hilfsbereite und nette Menschen am Wegesrand. Die ersten 1,5 Tage folgte ich von Artigelouve nach Oloron der Via Tolosana, oder auch Chemin d'Arles. Dann ging es über die letzten Etappen des Camino Piamonte bis Saint Jean Pied de Port. 3 Etappen Camino Frances bis La Trinidad del Arre (die drei Etappen, die ich aus Zeitmangel 2008 nicht laufen konnte) und für mich neu und noch nie zuvor gehört: Camino Baztan bis Bayonne.
Nichts
war geplant, aber alles war stimmig und richtig. Jeder Schritt es
wert gegangen zu werden.
Ich
weiß ganz genau, dass dieser Weg jetzt erst einmal beendet ist, aber
meine Seele wird noch lange über dem Weg schweben und der Weg lebt
in mir, genau so wie alle meine vorherigen Wege. Meine gelaufenen Wege berühren mich ganz tief im Herzen und ich trage sie wie einen Schatz in mir und hüte sie. Sie sind Teil meines Lebens.
Niemals
hätte ich 2008 vor meinem ersten Camino damit gerechnet, dass mich
das Caminovirus so infiziert, dass die Sehnsucht nach dem Weg
bestehen bleibt. Immer wieder flammt dieses Virus in mir auf und so
lange ich kann, werde ich Pilger bleiben.
Eine
Pilgerseele ist und bleibt man lebenslänglich.